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Schwarzbuch Waldorf

Leserbrief zu „Sind Waldorfschulen ein Verstoß gegen das Grundgesetz?”

Über die angeblich „dubiose” Lehre an Waldorfschulen. Von Alexander Kissler,
>> Süddeutsche Zeitung vom 5. Sept. 2008

Produktiv wird der Artikel von A. Kissler über den sensationslüsternen Titel, den der Journalist Grandt seinem „Schwarzbuch Waldorf” gegeben hat, erst gegen Schluss, wo er die Frage stellt, ob denn „der anthroposophische Hintergrund der Waldorfschulen hinreichend kommuniziert” werde. Dass solche „dubiosen” Machwerke wie das „Schwarzbuch” Grandts gegen die Waldorfschulen, gegen Rudolf Steiner und die Anthroposophie noch immer die Aufmerksamkeit einer gewissen Öffentlichkeit, z. B. der ansonsten um Seriosität bemühten Süddeutschen Zeitung, finden, hat seinen Grund letztlich darin, dass das, was Kissler den „anthroposophischen Hintergrund” der Waldorfschulen nennt, also die von Rudolf Steiner begründete und für zahlreiche Sachgebiete entfaltete, an Goethes naturwissenschaftliche Schriften anknüpfende „Geisteswissenschaft” als solche weder in den akademischen Wissenschaften noch gar in der Öffentlichkeit „hinreichend kommuniziert” worden ist. So wird, wie von Grandt, auch von anderen Journalisten munter drauflosgeschwatzt: Aus Zitatfetzen, die man dem Werk Steiners (oft nicht mal mit Quellenangaben) entnimmt und für die Attacke zurechtgeschneidet, werden nochmals Zitatfetzen gebastelt und mit düsteren Attributen versehen den Zeitungslesern vorgesetzt - und diese sagen: O Graus, o Weh, wenden sich von dem Unsinnsgebräu ab oder sind verwundert bis verärgert, was da mit ihrem Steuergeld aus „bedenklicher Esoterik” an einschlägigen Schulen angeblich „grundgesetzwidrig” unterrichtet wird.

Es macht daher keinen Sinn, auf Einzelheiten des Artikels von Kissler einzugehen und zu erklären zu versuchen, wie dieses und jenes, das als Zitat erscheint, zu verstehen ist. Bevor ich abschließend nochmals kurz auf das Kerndefizit als auf die Ursache des Problems zurückkomme, sei nur die gröbste Falschbehauptung Kisslers zurechtgerückt:

Rudolf Steiner „glaubte” nicht „an die Reinkarnation”, sondern er hat zwischen 1886 und 1904 einen Durchbruch in der Erkenntniswissenschaft erreicht (und diesen in mehreren Schriften publiziert), durch den es für jeden Menschen mittels einer entsprechenden Schulung, deren Arbeitsweise er auch dargestellt hat, möglich wird, die Reinkarnation als Wirklichkeit, wie im Prinzip alle Wirklichkeit zu erkennen. Der „Boden”, auf dem Rudolf Steiner dann seine „Geisteswissenschaft”, die er später auch „Anthroposophie” nannte, entwickelt hat, ist aber nicht die Tatsache der „Reinkarnation”, sondern sie ist eine anthropologische Realität wie alle andere auf dem von ihm eröffneten Erkenntnisweg zu erreichende Wirklichkeit. Insofern fußen alle geisteswissenschaftlichen Erreichnisse auf dem anthroposophischen Erkenntnisbegriff.

Bevor man daher voreilig von „Spekulation über Kosmos und Karma” schwadroniert oder eine Wissenschaft, die man offensichtlich gar nicht kennt, denunziert und „Etikettenschwindel” unterstellt, sollte man vor allem einmal dasjenige „hinreichend” studieren und „kommunizieren”, was auch für die Waldorfpädagogik das Fundament ist: Die geisteswissenschaftliche Erkenntnislehre.

Dass dies in der Waldorflehrerausbildung offenbar leider auch nur sehr unzureichend geschieht, ist bedauerlich. Es gilt hierfür aber, was für alle Wissenschaft gilt: Man kann - wenn es nicht nur populistisches Geschwätz sein soll - sich dazu nur kompetent äußern, wenn man sich kundig gemacht hat. Natürlich ist das im vorliegenden Fall nicht gerade einfach zu erreichen. Denn die anthroposophische Geisteswissenschaft steht - ähnlich wie die aufkommende Naturwissenschaft vor 500 Jahren gegen alle „herrschenden Lehren” der Zeit stand - bis heute singulär gegen alle letztlich materialistisch imprägnierten Wissenschaften. Sowohl denen auf den Gebieten der Natur wie der Kultur und auch der traditionellen Religionen, denn auch diese ordnen alles Übersinnliche mit der Behauptung von den „prinzipiellen Grenzen des Erkennens” dem Gebiet des Glaubens zu.

Und nicht anders verhält es sich mit so gut wie aller „bedenklichen Esoterik”, insofern diese kein allgemeinmenschlicher, geisteswissenschaftlich begründeter Schulungsweg zur Erlangung der Erkenntnis des Übersinnlichen im Sinne dessen ist, wie Rudolf Steiner es als ein spezielles Gebiet der Anthroposophie in Schriften und Vorträgen für jedermann empirisch überprüfbar entwickelt hat.

Wenn es zu solchen Erscheinungen wie zu dem „Schwarzbuch” und den anschließenden Medienreflexen kommt, dann wäre die Voraussetzung für eine seriöse Befassung damit, dass über die angedeuteten wissenschaftlichen Grundlagen der Waldorfpädagogik und die diese mitkonstituierende anthroposophische Erkenntnislehre - und diese besteht nicht aus aus ihren Zusammenhängen herausgerissene Äußerungen Rudolf Steiners über diese und jene Einzelinhalte - eine „hinreichende” Kommunikation stattfindet. Dann wird sich zeigen, ob es kompetente, geisteswissenschaftlich ausgebildete Pädagogen gibt, die in der Lage sind zu erhellen, was im Einzelfall für das gewohnte materialistische Denken zunächst vielleicht mal „dubios” erscheinen mag.

Insofern möchte ich die Verantwortlichen der Süddeutschen Zeitung auffordern, für den endlichen Beginn dieser Kommunikation ihre Spalten zu öffnen. Ich biete an, an diesem Diskurs teilzunehmen.

Wilfried Heidt,
Achberger Institut für Zeitgeschichte
und 1971 Gründungsinitiator der
Freien Waldorfschule
im Internationales Kulturzentrum Achberg
[heute: Freie Waldorfschule Wangen i. Allg.]

Achberg, 5. September 2008


Trackbacks

  1. zapata33 | Waldorfschulen und Grundgesetz pingbacked Veröffentlicht am 6. September 2008 um 11:54

    [...] möchte dazu auf den >> Leserbrief von Wilfried Heidt aufmerksam machen Gepostet von Gerhard Schuster am 6. September 2008 - 11.54 Uhr. Der Eintrag ist [...]

  2. new trinity and unity | Was heißt geisteswissenschaftliches Denken? pingbacked Veröffentlicht am 7. September 2008 um 16:06

    [...] siehe auch: http://www.wilfried-heidt.de/2008/09/06/schwarzbuch-waldorf [...]

  3. zapata33 trackbacked Veröffentlicht am 7. September 2008 um 19:53

    Was nottut!…

    In der Diskussion zu dem >> SZ-Artikel »Sind Waldorfschulen ein Verstoß gegen das Grundgesetz?« (Siehe auch meinen >> vorherigen Eintrag) hat eine Auseinandersetzung zu der Frage »Was heißt geisteswissenschaftliches Denken?« begonnen. Die Antwo…

  4. new trinity and unity | Wie kommt man zur Erkenntnis der Reinkarnation? pingbacked Veröffentlicht am 21. September 2008 um 17:47

    [...] auf einer >> Webseite der SZ wurde mir eine weiterführende Frage zu meinem ersten Posting [>> auch auf ttt publiziert] [...]