new trinity and unity | Zeichen der Zeit - 13-08-2010


Zeichen der Zeit - 13-08-2010

Von der im Buch der Geschichte verborgenen Dialektik

Ein Entbergungshinweis aus gegebenem Anlass

Wie immer wenn sich der 13. August jährt, so waren auch heuer die Medien und die Reden der Politiker voll der Ermahnungen, es dürfe auch im 49. Jahr des Beginnes der Errichtung der Mauer 1961 in Berlin nicht in Vergessenheit geraten, sich der SED-Diktatur zu erinnern mit all den Unmenschlichkeiten, die damit einhergingen. Die übliche deutsche Gebetsmühle.

Gewiss: Das war so, 40 Jahre in unterschiedlichen Maßen. Doch war nicht ein anderes dabei auch im Spiel, das den Deutschen nicht zuletzt mit diesem Ereignis den Kopf an eben diese Mauer stieß, um sie zum Erwachen ihrer historischen Aufgabe in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu bringen nach all den Versäumnissen und nach aller Schuld, welche dieses mitteleuropäische Volk in dessen erster Hälfte auf seinem historischen Konto angehäuft hatte? Um damit auch dieses Zeichen der Zeit, wie schon andere zuvor, jetzt endlich zu verstehen als das, was es in Wahrheit war: Die Sprache des Zeitgeistes, seine Aufgabe des Ortes der Mitte, der Vermittlung zwischen Ost und West in all den Fragen zu erkennen, die im zwanzigsten Jahrhundert der Vermittlung im sozialen Leben der Menschheit bedurften!

Dafür hatte das deutsche Geistesleben im letzten Drittel des 18. und im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts im Kontext der europäischen Entwicklungen das Fundament gelegt - Dutzende Namen aus Philosophie, Literatur und Musik stehen für diese Fügung. Um hier nur einen zu nennen, dessen Denken in besonderer Weise diesen Hebammendienst hätten leisten können, weil er auch aufgenommen worden war von den Nachfolgenden, die wie Marx u. a. nicht seinen idealistischen An­satz aufnahmen, sondern seine Denkmethode, die Dialektik und, mit ihrem Materialismus verbanden: Hegel. Das war deshalb so wichtig, weil diese Strömung mehr als jede andere es war, welche sich an die Spitze derer stellte, die sich der sozialen Frage zuwandten. Schon Lassalle hatte ja auf das Phänomen hingewiesen, dass der „Geist von Weimar”, also der Geist der Herder, Goethe, Schiller, Fichte usw. „wie im Kranichzug” über die deutschen Lande geflogen und nirgends im politisch-sozialen Leben, dieses befruchtend, gelandet sei und stattdessen der preußische Wilhelminismus das Terrain besetzt habe [Extirpation des deutschen Geistes zu Gunsten des deutschen Reiches" (Nietzsche)].

So blieb das, und auch der Versuch des im 20. Jahrhundert dann singulären Rudolf Steiner zwischen 1890 und 1923/24 konnte eine Wende dieser Tendenz nicht bewirken. Alles Weitere ist bekannt. In der Mitte zwischen 1933 und 1989 liegt 1961: Mit der Mauer trat nochmals von außen der Anstoß auf, daran der Spiegelung des Gegensatzes der Systeme Kapitalismus versus Kommunismus im dialektischen Sinn [Hegel!] zu erkennen und von der These und Antithese zur Synthese weiterzuschreiten, d. h. in der Mauer den Aufruf zu sehen, die Brücke für den dritten Weg zu bilden.

Ich selbst war 1961 mit gerade mal 20 Lebensjahren noch zu jung, um im zeitgeschichtlichen Miterleben dieses Geschehens schon genug inspiriert gewesen zu sein, etwas im angedeuteten Sinn unternehmen zu können; zwar stand ich schon in Bewegungen jener Jahre, welche insbesondere gegen die atomare Militarisierung in Ost und West opponierten, aber alle weiteren Aspekte brauchten noch einige Jahre, bis auch in karmischer Hinsicht die Weichen gestellt waren, die dann ab 1966 eine Art „Neustart”, wie man das heute oft nennt, ermöglichten.

Dieser führte dann, wie bekannt, 1989, im 28. Jahr der Berliner Mauer, von Achberg her inspiriert zum Projekt des „Weimarer Memorandums”. Es wurde vor Ort in der DDR dann leider einige Wochen zu spät ins Spiel gebracht, als dass es mit seiner Botschaft so zum Fall der Mauer geführt hätte, dass nicht zugleich auch die Mauer-Falle erzeugt und damit abermals das Eingreifen des „Geistes von Weimar” verhindert worden wäre. Der „Dämon des Zeitalters” [Rudolf Steiner, 1921] war abermals siegreich, weil man dem Zeitgeist auch jetzt wieder eine Absage erteilte. Wie oft noch glaubt man die Gnade für neue Versuche zu bekommen? Solange man den Deutschen nicht dieses Bild ihrer Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte vermittelt - nicht zuletzt, nein zuerst auch an den Waldorfschulen - wird es keinen Ausweg aus den heutigen Sackgassen geben. Dazu mehr in der nächsten Korrespondenz.

Mit besten Grüßen

Wilfried Heidt