new trinity and unity | Zeichen der Zeit - 03-07-10


Zeichen der Zeit - 03-07-10

Die Kontraproduktivität „Gaucks” und wie sie ins Produktive zu wenden wäre

1. Zum Medienrummel um Joachim Gauck setze ich die Wahrnehmung der Fakten als bekannt voraus; auch das ganze Kommentieren und Spekulieren seitens der politischen Kaste, der Wissenschaft, der Journaille und der Internetvorgänge jeglicher Richtung. Es würde lohnen, die dabei aufgetretenen Denkstrukturen, Schreib- und Redeweisen speziell zu analysieren und nachzuzeichnen und deutlich zu machen, welche Menschen-, Geschichts- und Gesellschaftsbilder zu welchem Endzweck dabei mal wieder wirksam verbreitet wurden. Das kann vielleicht andernorts einmal nachgeholt werden.

Hier soll von all dem in Einzelheiten nichts wiederholt, vielmehr auf die Kernpunkte des ganzen Vorganges die Aufmerksamkeit gelenkt werden. Zusammenfassend sei festgestellt, dass das Ereignis, das ja am 2. Juli seinen vorläufigen „amtlichen” Abschluss fand mit der Vereidigung und ersten Rede des gewählten Christian Wulff mit anschließendem „Sommerfest” in dessen Amtssitz [unter Teilnahme Gaucks], von A bis Z nur der Medien wegen alles das entfalten konnte, was es entfaltet hat und seine nachhaltige Wirkung ausschließlich von daher haben wird. Es war der auf wenige Personen abgestellte Vorgang im [Macht]-Spiel des politischen Systems der BRD und seiner heutigen gesamtgesellschaftlichen Funktion, ein ernstes Staatstheater, das schon mit dem Vorspiel, dem überraschenden Rücktritt Horst Köhlers vom Amt des Bundespräsidenten, einsetzte, dann aber das gesamte parlamentarische und Parteiensystem in seiner gegenwärtigen Verfassung mit einbezog.

2. Als Hintergrundsfolie dessen, was ich zur Sprache bringen möchte, dient mir Gaucks Rede vom 22. Juni 2010 im Berliner Theater. Mit dem am Textende angegebenen Link kann sich jeder interessierte Leser den Text herunterladen. Ich werde deshalb auch darauf verzichten, einzelne Sätze aus dieser Rede zu zitieren. Man kann dann nachlesen, ob dasjenige, worauf ich den Fokus richte, in der Sache begründet ist und Joachim Gauck als denjenigen zeigt, der er im geistig-politischen Kräftespiel der Gegenwart bis jetzt ist: ein Zeitgenosse, der nicht erkannt hat, was das deutsche Schicksal aus den Wegen, die es in den vergangenen zweihundert Jahren für uns gebracht hat, aus dem „Atem der Geschichte” [Fritz Götte] auf der Höhe der Zeit jeweils zu tun verlangt hätte zum Heile unseres Volkes und der Menschheit und was auch jetzt wieder aktuell vonnöten, also verlangt ist.

Ob und wie lange Gauck diese seine jetzt eingenommene Rolle in der BRD weiter spielen wird, das wird sich herausstellen, wenn er in absehbarer Zukunft mit dem konfrontiert sein wird, was bisher in seinem Weltbild offenbar noch keine Rolle gespielt hat; jedenfalls finden sich in seinen Verlautbarungen - und auch in seinen kürzlich erschienenen Lebenserinnerungen [„Winter im Sommer - Frühling im Herbst", 2010, Siedler] - keine Anzeichen dafür, dass es anders sein könnte. Ich unterstelle einstweilen, dass seine Berliner Rede der Extrakt dessen ist, was er in diesem Buch schreibt.

3. Ich beschränke meinen Einwand gegen „das Phänomen Gauck” an dieser Stelle auf den Kardinalpunkt seiner Position und wende dagegen nicht ein, dass seine „Liebe” zur BRD und ihre Verfasstheit vor dem Hintergrund seiner DDR-Biographie bis 1990 zu unkritisch wäre - auch dazu könnte man unter der Fragestellung des im Abs. 2. Gesagten natürlich vieles auf­rollen, was erhellend sein könnte. Nein, mein Einwand gegen seinen schon geradezu „hi­storischen” Auftritt in den letzten Wochen [seit das rot-grüne Parteiduo ihn mit seinem Schachzug gegen Angela Merkel funktionalisierte] richtet sich dagegen, dass er an der entscheidenden Stelle das von ihm so hochgeschätzte staatlich-politische System der BRD nicht nur zu wenig liebt, sondern offenbar aus Unkenntnis des „Grundgesetzes” in verfas­sungs­widriger Weise reflektiert. Denn wie nachgerade fast alle, die hierzulande eine öffentlich wahrgenommene Stimme haben, behauptet auch Gauck, das staatlich-politische System der BRD sei das einer parlamentarischen Parteiendemokratie und das sei doch im Unterschied zur Diktatur der DDR gut so, wenn auch nicht perfekt, so doch offen zur Verbesserung [als parlamentarische Parteiendemokratie].

Der Kandidat brachte an keiner einzigen Stelle eine Idee ins Gespräch, welche das politische und gesellschaftliche System der BRD transzendiert hätte! Was er aus seinem Leben berichtet - dabei für seine Biographie wesentliche geschichtliche Ereignisse markierend: 17. Juni 1953, Herbst 1956, 13. August 1961, 21. August 1968, Herbst 1989, 30. Juni 1990, 3. Oktober 1990 und beeindruckt von Literaten wie Biermann, Kuhnert, Kunze, Loest und Sarah Kirsch im eigenen Land, vom „I have a dream” des Martin Luther King, von Solschenizyn und Sacharov in der UdSSR, Havel in der CSSR und „den Widerständigen aus der polnischen Solidarnosc” - zeigt einen Menschen, der in einem Land groß geworden ist und gelebt hat, der sich aber für den größeren geschichtlichen Zusammenhang, aus welchem dieses Land seit der Zeit der Französischen Revolution in Mitteleuropa schließlich entstanden ist als Ostteil Deutschlands nach 1945, offenbar weder in historischer noch in ideologischer Hinsicht auf originären Erkenntniswegen interessierte; um so mehr aber aufgesogen zu haben scheint, was sich äußerlich im Westteil Deutschlands als BRD entwickelte, aufgesogen aus einer Art intelligenten und moralisch kultivierten [protestantischen] naiv-realistischen Bewusstseins.

Mit diesem Bewusstsein ist er 1989 zum „Bürgerrechtler” geworden und trägt diesen Titel seither stolz am Revers, ihn mit dem Begriff der „friedlichen Revolution” verbindend als deren Mitakteur [im „Neuen Forum"] er sich sieht und jetzt in Zeiten Obamas dessen „yes we can” mit dem sächsischen „Wir sind das Volk” identifiziert. Er glaubt das, ohne darüber weiter nachzudenken, denn es scheint ja so schlüssig zusammenzupassen.

Was dieses naiv-realistische Bewusstsein gegenüber dieser Devise im Herbst 1989 historisch versäumte und mit seiner „Revolution” damit weltgeschichtlich verspielte, wurde auf diesen Seiten andernorts zu Genüge erhellt. Auch dazu am Schluss nochmals der Link-Hinweis zu den entsprechenden Publikationen [„Weimarer Memorandum"].

4. Wem eher oberflächliche aber gemütsergreifende politische Reden genügen, dem mag das zu Herzen gehen, womit Joachim Gauck, mit Ausnahme der Linken, von allen  anderen Couleurs der politischen Klasse umjubelt, die deutsche Öffentlichkeit beglückt hat. Und vielen scheint’s genügt zu haben im Vergleich zu den geölten Sprüchen vieler Politiker. „Glaubwürdigkeit”, so empfanden es wohl viele, habe sie bei den Botschaften des Pastors und Stasi-Aufklärers angeweht und sie sogleich auf den Gedanken gebracht, wie schön es jetzt doch wäre, wenn „das Volk” in vermeintlicher Mehrheitsstimmung, geschürt von manchem populi­stisch tickenden Journalisten, den Prediger zum Bundespräsidenten wählen könnte - hatte doch selbst der Vorgänger Köhler gelegentlich auch schon mit diesem Gedanken gespielt.

So tanzten also in den letzten zwei drei Wochen die Puppen der politischen Phantasiewelten im Lande und Herr Gauck spielte auf eine viele sympathisch berührend Art mit, wich aber von seinem Drehbuch kein Jota ab. Und wer durchschaute, welches Stück hier aufgeführt wurde, der jedenfalls konnte nur distanziert mitverfolgen, was da ablief und nicht anders als abermals mit Ärger, ja mit Zorn begleiten, was von Jubiläum zu Jubiläum zum x-ten Mal ins öffentliche Bewusstsein gegossen und von keiner einzigen Seite korrigiert wurde: Das Hohe Lied von der BRD als einer parlamentarischen Parteiendemokratie, die jetzt mit der Wahl eines neuen „Staatsoberhauptes” durch die Bundesversammlung ihr „Hochamt” gefeiert habe.

5. Dass diesem ganzen Schwadronieren von keiner einzigen Stimme öffentlich widersprochen worden ist, das kennzeichnet trotz all der Aufklärungsarbeit, die dazu seit drei Jahrzehnten geleistet wurde, den politischen Bewusstseinszustand unserer Republik wie nichts Zweites. Ich erinnere hier nur nochmals an das, was wir ja auch in unserer Petition vom 9. November 2009 ins Begründungszentrum gestellt haben, nämlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 30. Juni 2009, wo im Absatz 211 das Dogma von der BRD als einer „parlamentarischen Parteiendemokratie”, das jetzt wieder hymnisch aufgetischt wurde, ein für allemal höchstrichterlich korrigiert wurde mit der Feststellung:

»Es ist das Recht der Bürger in Freiheit und Gleichheit durch Wahlen und Abstimmungen die öffentliche Gewalt personell und sachlich zu bestimmen.« Dies sei nach GG Art. 1 und 20,2 »der elementare Bestandteil des Demokratieprinzips.«

Daraus folgt, dass das staatlich-politische System der BRD dasjenige einer komplementären Demokratie ist, in welcher sich zwei Formen ergänzen müssen: die parlamentarische und die plebiszitäre.

Wie das organhaft zu gestalten ist, haben wir in unserer Petition mit der Konzeption der „dreistufigen Volksgesetzgebung” beschrieben und dem Bundestag zu regeln vorgeschlagen [s. Link unten]. Ich bin sicher, dass Joachim Gauck, nun immerhin schon 20 Jahre Bürger im vereinigten Deutschland, von all dem noch nichts zur Kenntnis genommen hat - trotz all seinem schönen Reden vom „Brückenbauen”. Er hat sich darin kein Jota anders verhalten, wie all jene Medienleute, Politiker und Wissenschaftler - aber auch Bürgerinnen und Bürger -, die mit ihren Gefühlen und Meinungen im Internet zwar herumgeistern, sich jedoch ebensowenig kundig machen darüber, dass sie ihr demokratisches Engagement doch längst selbstbewusst und vernünftig geregelt entfalten könnten, wenn sie ihre Stimme doch nur gemeinsam für das erheben würden, was mit der Petition vom 9. November 2009 gefordert und mit der selbstorganisierten Abstimmung von jedem Stimmberechtigten bekundet werden kann. Wo doch nicht nur die beiden Oppositionsparteien, die den Kandidaten jetzt vor ihren Karren spannten, sondern auch Die Linke im Prinzip die „dreistufige Volksgesetzgebung” seit 1994 im Bundestag ja unterstützen! Warum hat von letzteren Herrn Gauck niemand auf sein grundgesetzwidriges Demokratieverständnis hingewiesen, spätestens nachdem er Die Linke als „Eventualdemokraten” titulierte? Daran kann man ablesen, dass es ihnen allen nicht so wichtig zu sein scheint mit der komplementären Demokratie des Grundgesetzes!

Erst dann, wenn endlich dem Rechnung getragen wird, was das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 30. Juni 2009 normativ feststellte, würde sich der gute Wille des Joachim Gauck gesellschaftlich à la hauteurs des principes produktiv auswirken - und er würde sicher noch „glücklicher” sein in seiner Liebe zu Freiheit und Demokratie, wenn er erkennen würde, dass wir erst dann als Nation Verfassungspatrioten sind. Man darf gespannt sein, ob Joachim Gauck mit seinem neuen Freund Christian Wulff die Brücke zum Demokratiebegriff des Grundgesetzes bauen wird und beide sich gemeinsam dafür einsetzen werden, der dreistufigen Volksgesetzgebung das Tor zu öffnen.

Links, auf die im Text Bezug genommen wurde

http://www.joachim-gauck.de/Aktuelles/Reden/details/100622_grundsatzrede_dt.html
http://www.volksgesetzgebung-jetzt.de/weimarer-memorandum
http://www.volksgesetzgebung-jetzt.de/petition-2009/aspekte-1
http://www.volksgesetzgebung-jetzt.de/aktion/abstimmung

Wilfried Heidt

P.S.  Wenn Gauck in seiner „Berliner Rede” vom 22. Juni 2010 zum Datum 21. August 1968 nicht eine Idee zum „Prager Frühling” anführt, stattdessen Havel als Gallionsfigur, die zu 1968 nichts Relevantes beigetragen hatte und erst 1989/90 ohne die Ideen von 1968 ins Amt kam, so zeigt auch das, wie sehr sein Verständnis von Geschichte an der Oberfläche geblieben ist, [Siehe zum Vergleich das Dokument eines in etwa Gleichaltrigen der 68er Generation: http://www.wilfried-heidt.de/wp-content/uploads/2008/08/prager-heft_ebook.pdf ]